Heute geht’s um Naturverständnis, aber was ist das eigentlich? Ich, der Adler, sehe euch von oben – und manchmal kann ich nur den Kopf schütteln. Während ihr euch unten in euren Blechkisten staut, schnapp ich mir den Wind, weil ich weiss, wie’s geht. Ihr redet von Klimakrise und Umweltbewusstsein, aber fährt mit dem Auto zum nächsten Waldrand, hetzt über gekieste Forststrassen mit regelmässigem Blick auf Schrittzähler und Pulsfrequenz am Handgelenk und wundert euch, wenn keine Wildtiere mehr zu sehen sind. Ihr meint, Natur wäre was für Postkarten oder das Wochenende? Falsch gedacht. Lasst mich mal erklären, wie das wirklich läuft.
Einst habt ihr uns Adler als göttliche Botschafter gefeiert, das waren noch Zeiten. Heute werde ich mit lateinischen Namen abgefertigt, als wäre ich ein Eintrag im Lexikon. Gratulation, ihr habt euch schlau gefühlt, aber habt ihr wirklich verstanden? Während ihr mit euren Theorien jongliert, geht draussen das Leben weiter – meistens ohne euch. Ihr habt die Natur in Schubladen gesteckt, studiert und vermessen – aber das Gefühl dafür oft verloren. Und wenn ihr jetzt Naturschutz ruft: Schön und gut, aber das hättet ihr vielleicht schon vor Jahrzehnten machen können.
In der Schweiz prangt mein Bild auf vielen Wappen, aber schaut ihr auch wirklich hin? Ihr feiert mich als Symbol – solange ich euch keine Angst mache. Oder ihr spinnt über mich Legenden, aber schützt ihr meinen Lebensraum? Ihr Menschen liebt eure Geschichten, aber die echte Natur ist kein Märchenbuch. Wenn ihr euch im Nebel verlauft, seid ihr aufgeschmissen – ich orientiere mich an Wind und Sonne, ohne Navi. Vielleicht solltet ihr mal öfter eure Sinne benutzen, statt ständig Apps nach dem Weg zu fragen.
Vielleicht kapiert ihr, dass ständiger Konsum nicht ewig funktionieren kann – immerhin. Aber solange ihr jenen nacheifert, die mit weniger Anstrengung mehr verdienen und in den Ferien um die halbe Welt jetten und euch nicht mehr bemüht eure unmittelbare Umgebung mit allen Sinnen wahrzunehmen, bleibt euer Naturverständnis bestenfalls Theorie. Handeln ist jetzt gefragt und umdenken. Ich schlage vor, ähnlich wie die Indigenen oder unsere Vorfahren vor der Aufklärung. Für sie war vieles, was sie umgab, wesentlich oder mit anderen Worten beseelt.
Euer heutiges Naturverständnis ist verfügungsorientiert, das damalige war beziehungsorientiert. Also umdenken, sonst bleibt ihr am Boden, während wir Adler weiter Kreise ziehen.
Hm, … jetzt habe ich mich so ereifert, dass ich darob die falschen Adressen gewählt habe. Ihr seid ja meine langjährigen Freunde und längstens darüber hinaus. Also lächelt verzeihlich über mein Missgeschick und reicht meine Botschaft weiter, an jene, die es wirklich angeht.
Danke.
